Eröffnungsrede
für Sumpf von Christine Hach

 

Ausstellungsrede für Sumpf von Christine Hach

19.01. 2014


Sumpf ist ein schönes fieses Thema. Sumpf ist erst mal negativ. Sumpf bedeutet Vermodern, Fäulnis, Gärgase, Sumpf lebt von der Vergänglichkeit und schafft ständig Neues. Sumpf ist unwirtliches menschenfeindliches Gebiet, aus dem man , wenn man nicht aufpasst , auch nicht mehr lebend rauskommt. Und wenn man erst mal am Versinken ist, geht es wahrscheinlich langsam und immer nach unten. Ein falscher Schritt. Sumpf ist ein getarnter Abgrund. Sumpf schafft Respekt und Grenzen : im Grund hat der Mensch im Sumpf nichts zu suchen.
Sümpfe machen Probleme. Früher war es hier noch viel sumpfiger, die mäandernden Rheinarme schlängelten sich langsam fließend durch die Rheinebene , oft blieben Sümpfe stehen. Noch im 19. Jahrhundert vor dem Rheindurchstich 1828/29 mit dem die Kühkopfinsel entstand, und das Wasser schneller ablaufen konnte, litten die Rheinbewohner zwischen Hamm und Oppenheim an Malaria, ein Oppenheimer Zeitzeuge beschreibt unsere Gegend als „ein Paradies mit Leichengestalten bevölkert“. Keine schöne Vorstellung.
Sümpfe sind aber definitiv ein Paradies für Lebewesen, die dem Menschen nicht geheuer sind. Schlangen, Blutegel, Bisamratten, saugende Insekten. Irgendwas taucht aus der morastigen Brühe auf und beißt, irgendwas fliegt einem an, landet auf unsrer ungeschützten Haut und beißt, das Wasser ist so brackig, man kann nicht bis auf den Grund sehen , und der Grund ist unendlich glitschig und überhaupt unendlich.
Riecht auch nicht gut, modrig, faulig, schmoddrig. Und schmatzt.
Ein Paradies für Urzeitamphibien , Saurier, Blindschleichen. Die Ursuppe lebt. Nur der Mensch stört den Sumpf.

Sümpfe werden gerne bekämpft , damit das dadurch „gewonnene“ Land für den Menschen besser nutzbar ist. Sümpfe werden gerne trockengelegt.

Dabei fallen Sümpfe, im Gegensatz zu Mooren, die immer wassergesättigt sind, gern auch mal von selbst trocken. Noch tückischer, Wo ich gestern noch gehen konnte, könnte ich heute versinken oder rein theoretisch umgekehrt . ( )

Die Sümpfe von Versailles wurden extra für den Sonnenkönig trockengelegt und der Schlosspark später kompliziertestens kanalisiert bewässert.

Das brackige Wasser in den Kanälen von Venedig nagt beständig an den hölzernen Unterbauten und wird die Stadt irgendwann untergehen lassen, und wir lieben zunächst diesen Hauch von Vergänglichkeit, eingefangen auf dem Foto von Ingrid Odermatt.

Sumpf scheint nicht beherrschbar oder bezwingbar zu sein, irgendwann schlägt der Sumpf zurück. Auf trockengelegten Feldern zeigen sich erste Schilfhalme, Wasserlachen bleiben stehen, das Schilf wächst….

Sumpf ist ein Promi und ständig in den Nachrichten, dann als Drogensumpf oder Sumpf der Kriminalität, überhaupt muss er für alles Schlechte herhalten. Der amerikanische Roman The Jungle von Upton Sinclair hatte jahrzehntelang in der Übersetzung den deutschen Titel „Der Sumpf“, der Roman spielt 1906 in den Schlachthöfen von Chicago , bei der Lektüre dreht sich auch dem weniger sensiblen Leser der Magen um und Sumpf schien in der deutschen Übersetzung passender als Dschungel zu sein. Schlimmer als Sumpf geht nicht.

Kein Edgar Wallace Film ohne Sumpf und es funktioniert immer: Nebel ,Sumpf, tschüss.

Der Sumpf hat einen schweren Stand.

Sie befinden sich hier in der sumpfigsten Gegend von Rheinland-Pfalz: der Eich-Gimbsheimer Altrhein ist das größte zusammenhängende Schilfgebiet dieses Bundeslandes. Es handelt sich um einen ehemaligen Flussarm des Rheins, der zwischen 500 und 1500 vom Hauptstrom abgetrennt wurde und dann mehr oder weniger verlandete. Er prägt unsre Landschaft und die Geschichte der Altrheindörfer. Ob an Haupt- oder Nebenstrom gelegen war Fischerei wichtig, das Ackerland war wegen der häufigen Überschwemmungen nicht immer das beste. Viele Menschen fanden bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts in Gimbsheim und Eich im Winter als Schilfmacher ihr Auskommen. Das Schilf wurde parzellenweise versteigert, geschnitten , sortiert gebündelt und für die Schilfmattenherstellung verwendet.

Die letzten Rohrmatten wurden in Gimbsheim in den 80er Jahren hergestellt. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen.

Im Arbeitsweltraum kann man sich Fotos und Werkzeuge der Schilfmacher , jetzt kombiniert mit der Sumpfkunst, ansehen. Sumpf passt super in unser Museum.

Überhaupt ist Sumpf keine offensive klare Präsentation, sondern was zum Entdecken. Einmal nicht genau genug geguckt, versunken oder Attacke.

Zum Entdecken gibt es grade im Arbeitweltraum viel. Zwischen den historischen Exponaten

finden sich 3 partielle Moorleichen (Bastian Bauer, Stefanie Oswald, Karin Janß), ein Gewimmel von Schlangen (Bärbel Droll,Willi Herwig), Müllsumpf, Nachrichtensumpf und ein geschlossenes Terrarium mit Blutegeln, Fröschen, Bibern, Sumpfvögeln und Gelbrandkäfern. Die meisten Tonviecher sind

von Kindern zwischen 4 und 13 geformt und glasiert worden und ich finde sie eine Wahnsinnsbereicherung für diese Ausstellung, außerdem war der Altersdurchschnitt der Teilnehmer noch nie so niedrig… Sehr schön fügen sich die weißen Sumpfwürmer, oder ihre Reste, von Fiona Balbach, in die Vitrine der Backsteinmacher, ein vergleichbares Material, Ton und Lehm, irgendwie auch störend und schon schaue ich mir auch die Muskelmänner mit dem Knochenjob auf den Fotos dahinter ganz anders an.

Sie sehen, wir sind schon mitten unterwegs in der Ausstellung, normalerweise erwähne ich jede Arbeit, ich hätte gerne eine Reise mit dem Sumpfdampfer von Bruno K aus Volxheim entlang aller Exponate gemacht, aber da auch eine Sumpfkreuzfahrt ein Ende haben muss, wird es wie bei dem Schwesterschiff Aida Abstecher geben und zeitlich begrenzte Landgänge. Zunächst muss das Schiff inspiziert werden. Auf die minimale Form reduziert, mit quadratischem Bullauge, das einen Blick in den Maschinenraum gewährt, wird in einem Buchstabenspiel aus dem Sumpfdampfer ein Dampfsumpfer und zwischendurch hören wir das Maschinendröhnen und die Anstrengung, sich als Amphibienfahrzeug durch den Sumpf zu quälen. Später unbedingt das quadratische Gedicht im Bullaugenfenster wenigstens innerlich laut lesen. Es ist einfach schön.

Männer bauen für Sümpfe Fortbewegungsvehikel. Freddy Ehlert ist ein ziemlich junger Mann und er konnte mich überzeugen, dass sein Sumpfmotorboot solarbetrieben und lautlos dahintuckert und keine Naturschutzprobleme macht. Zu finden in der schwarzen Fenstervitrine. Jetzt machen wir einen kurzen Tauchgang zu den quadratischen Sümpfen mit letzten Spuren, gemalt von Doris Kohn direkt über dem Sumpfdampfer. Der Sumpfdampfer rast entweder in die wenig gemütlichen Landschaften von Stefi Muth und Edda Oswald oder er rast gegen die Wand.

Neu bei dieser Ausstellung sind die Leihgaben von Kunstsammlern und Museen. Nichts schmückt eine Kunstausstellung für die Außendarstellung so sehr wie richtig berühmte Künstler oder potentiell berühmte Künstler aus der Großstadt weit weg. Das zieht einfach. Mir war viel wichtiger dass die ausgeliehenen Werke schön sumpfig sind. Und was mich bei den Jahresausstellungen immer reizt, ist das Zusammentreffen von grundverschiedenen Welten, die dann freundlicherweise weder implodieren noch explodieren.

So trifft jetzt ein Ölgemälde des in den 30er Jahren in München als Kunstprofessor tätigen Guntersblumer Carl Küstner (Danke an unser Nachbarmuseum und Kulturverein Guntersblum und Reiner Schmitt), auf einen Zizynaut von der Guntersblumerin Zizy Ziegler und ein noch nicht ganz getrocknetes Landschaftsölbild von Michael Mahla. Sie scheinen sich zu vertragen.

Überhaupt Landschaften. Betörend schön finde ich die Landschaften von Dieter Renk und Violetta Vollrath, beide auch schon bei KARIERT dabei. Es sind Irrlichter,

reduzierteste Andeutungen, bei Violetta satte vielschichtige Farben , man kann sich kaum sattsehen.

Sumpf als Landschaft haben wir in unzähligen Fotografien, historische Aufnahmen von Hans Bretzer aus Hamm, Roland Reich und Rudi Obentheuer aus Eich, zum Teil von Sumpfgebieten, die es heute so gar nicht mehr gibt. Neuere Aufnahmen von Bernd Wilhelm zum Hammer Wörth, von Wolfgang Reich und Harald Dittenberger zu den renaturierten Flächen in Rheindürkheim, einem Sumpfgebiet, das sich nicht für immer trockenlegen lassen wollte, und jetzt majestätisch schön ist. Falls jemand Richtung Worms fährt, nach der Gärtnerei links von der B9, ab da langsamer fahren und immer nach links gucken.

Um einen Eindruck von der Größe und bizarren Schönheit des Eich-Gimbsheimer Altrheins zu vermitteln, habe ich einen Spaziergang übers Eis im letzten kalten Winter 2012 mit unzähligen Fotos von Franz Otto Brauner montiert. Wenn man den Altrhein entlang der alten Fahrrinne, also des ursprünglichen Flusslaufs durchquert, ist das immer ein besonderes Erlebnis, ich habe das bislang 3 x gemacht, es muss dafür sehr lange kalt sein, da das Schilf und Gärgase eine tragfähige Eisdecke nicht grade fördern. Wir hatten auch gegen Ende des Spaziergangs einen kleinen Einbruch. Es ist wahnsinnig schön, den Wind im trockenen Schilf zu hören, es ist auch sehr still, es gibt alle möglichen Tierspuren, Bisamrattenbauten,

Gärlöcher, die nie zufrieren, bizarre abgestorbene Baumriesen, Bullseggen und auf dem Flachen kann man wunderbar Schlittschuhfahren. Ich erinnere mich auch noch, in den 80er Jahren gesunkene Kähne gesehen zu haben. Im Moment steht das Wasser im Altrhein sehr hoch, es ist eine wunderbare wilde Landschaft und man spürt, dass dieses teilverlandete Schilfgebiet vor Jahrhunderten einmal ein gewaltiger Strom war. Meine roten Rüsselwürmer heißen extra für diese Ausstellung Sumpfsirenen und könnten mir unterwegs begegnet sein.

Bizarre Funde aus dem Althrein werden von Eckhard Blum gezeigt. Zum Teil unbearbeitet als Fundstück, wie bei der geisterhaften Figur, leicht bearbeitet, wie bei der Sumpfkirche, oder noch mit Durchbrüchen und Tiffanyglas versehen und beleuchtet. Ähnlich beleuchtete Objekte haben wir von Steffen Bohley, bei denen die Achatscheiben wie Sümpfe wirken.

Direkten Materialkontakt in Form von Moorlauge (kriegt man in der Apotheke) hatten Lena und Edda Oswald, beide nicht verwandt, hier heißt jeder 2 einhalbte Oswald. Eine sehr schöne private Fotoreihe aus den 70er Jahren von Margit Gerbig zeigt 3 Grazien beim Schlammbad, im Hintergrund ein Schild mit dem Hinweis, das Nacktbaden verboten ist. Diese Ecke finde ich überhaupt ziemlich sexy und auf jeden Fall feminin, die Lotusblüten der Harlosschwestern, die schönen Frauen von Imke Stolle da Silva.

Sumpf finden viele eklig und unheimlich. Die Makroaufnahmen von Katharina Schmiedel zeigen Ausschnitte von Sumpfpflanzen und spielen damit.

Etwas eklig finden einige wahrscheinlich auch unsere Schabeninvasion, die kein Fall für den Kammerjäger ist, sondern eine wunderschöne Installation der Leipziger Kunststudentin Karin Wörner. Die kleinen Tiere sind aus Schuppen von Pinienzapfen gemacht, herzallerliebst, es befinden sich garantiert welche in Ihrer unmittelbaren Nähe.

Es ist mir übrigens ein Rätsel, wieso sich keine einzige Arbeit mit Schnaken, also den heimischen Stechmücken, hier Bohrhämmel genannt, beschäftigt. Stellvertretend dafür haben wir die Leipziger Schaben eingeladen.

Jetzt machen wir noch einen Abstecher an die Promiwand. R.A. Penck, ein berühmter Vertreter der Jungen Wilden, weiß nichts von unserem Museum und er hat sich auch nicht selbst beworben, seine Arbeit mit dem Mann im Dickicht wurde uns von einem Sammlerpaar geliehen, worüber wir uns sehr gefreut haben.

Direkt darunter befindet sich ein Ölgemälde von Harald Lange, das das Fischsterben am Müritzsee zum Thema hat und ungeheuer brackig rüberkommt, auch dieses Werk ist eine private Leihgabe. Oben sehen wir Beine im Altrheinwasser von Clara Clauter, die letztes Jahr mit den karierten Beinen dabei war. Erinnern möchte ich auch noch an unseren im letzten Jahr gestorbenen Freund und Künstlerkollegen Heinz Rust, dessen Flusslandschaft jetzt von Arbeiten von Freunden umgeben neben der Fenstervitrine hängt. Hartmut Noffke räumt gern auf und hat auch den Sumpf aufgeräumt, ihm gebührt eine Extraauszeichnung für den ordentlichsten Sumpf de Welt.

Wir haben noch phantastische Sümpfe und bedrückende, todernste Sümpfe.

Im himbeerroten Raum gibt es eine Landschaftsecke mit scheinbar harmlosen aber morastigen Landschaften, durch den selben Morast kämpft sich ein portugiesischer Marine im Angolakrieg, aufgenommen Ende der 60er Jahre von dem damaligen ZDF-Kameramann Wilfried Saur aus Osthofen. Den Opfern des brauen Sumpfs hat Karlheinz Günther eine bedrückende Arbeit gewidmet, auch bei George Grosz , ein ganz Berühmter aus der Klassischen Moderne, ist die Welt nicht in Ordnung, wir wollen nicht so genau wissen was der dicke Unsympath von dem ausgemergelten Mädchen will. Auch Carola Seehausen und Achim Bartmann setzen sich kritisch mit sozialen Abgründen auseinander, Sümpfen, in die man unfreiwillig hineingerät, und nicht so ohne weiteres wieder rauskommt, Bei Carola Seehausen geht es um den Kölner Klüngel im Rotlichtmilieu, Achim Bartmann schuf sehr würdevolle Portraits von Obdachlosen.

Es gibt immer noch viel zu entdecken im Sumpf, von Tom Thiel den Silbersumpf und ein grünes Sumpfwesen, von Inka und Colin Reineck den Sumpf der Traurigkeit, den wir als diebstahlgefährdetstes Kunstwerk ganz besonders bewachen, also Finger weg vom Legodrachen! Manche Sümpfe müssen beschützt werden, bei uns übernehmen den Schutz der Feuchtbiotope von Mai bis September zuverlässig die vielen Schnaken, unsre lieben Bohrhämmel.

Ganz zum Schluss schippern wir noch an 3 Plastiken vorbei, die unterschiedlicher kaum sein könnten: das blinde Sumpfhuhn von Katja Raab und Hermann Krämer, das aber mit sumpftauglichem Schuhwerk ausgerüstet ist, der verlorene Watende von Rainer Rühl und

Landunter von Martin Schöneich. Diese Arbeit spielt mit der Ästhetik des Untergangs, eher modern anmutende Architekturen sind nicht mehr in ihrem Fundament verankert, und mehrgeschossig überschwemmt, trotzdem ist die Anordnung und die Spiegelung unglaublich schön, aber auch bedrohlich, modrig und sumpfig.

Nehmen Sie sich Zeit und zählen Sie die Frösche,, und schauen Sie genau hin, bei dem Foto- auf- Leinwanddruck von Andrea Acker zum Beispiel sollten Sie 2 Frösche sehen. Zählen können Sie auch noch die Schaben in den 3 Räumen, entdecken Sie die vielen Arbeiten, die aus Zeitgründen in dieser Rede unerwähnt bleiben mussten, was mir sehr leid tut, aber

sie werden definitiv in den mindestens 3 Führungen ausführlicher erwähnt werden.

Die nächsten mache ich am 26.2. und am 2. 2. um 16:30 Uhr. Am 9.2. ist eine Führung für Kinder von Clara Clauter.

Jetzt kommt das große Danke :

Danke an Stefi Muth , Hartmut Noffke, Katharina Schmiedel, Carola Seehausen, Karlheinz Günter, Willi Herwig, TomThiel, Gunter Mahlerwein, Edda Oswald und Lisa Frey , die alle mitgeholfen haben, dass diese Ausstellung so dasteht , wie Ihr sie jetzt seht.

Danke an Jochen Günther, der für die verhinderten Flötendamen eingesprungen ist.

Schreibt in unser Gästebuch , euren Namen, die Anzahl der Frösche und so weiter, das Café Kay ist bislang ungezieferfrei und bestens mit sumpffreiem Kuchen gerüstet.

Kommt mit Freunden und Verwandten wieder, empfehlt uns weiter.

Nächstes Jahr im Januar ist hier Orange ohne Sonnenuntergang das Thema.

Die Ausstellung ist eröffnet.